Bislang ist die Energiewende in Deutschland vor allem und in erster Linie eine „Stromwende“. Im Feld Wärme/Heizung ist die Dynamik deutlich geringer. Bei Kraftstoffen gibt es Chaos / Stillstand / Rückschläge. Und die Energieeinsparung schreitet insgesamt kaum voran. Aber die Dynamik der „Stromwende“ ist beeindruckend. Dazu die folgenden Thesen. 

1.       Die Energiewende (Stromwende) ist ein spektakulärer Erfolg.

Nahezu alle Ausbau-Schätzungen übertroffen. Ausbau-Tempo deutlich höher als erwartet. Aktueller Stand: rund 25% EE-Anteil. 25.000 Windräder und 1,3 Millionen PV-Anlagen. Rund 60% der Anlagen in der Hand von Bürgern und Landwirten. Knapp 400.000 Jobs in der EE-Branche.

Erneuerbare Energien genießen die mit großem Abstand höchste Akzeptanz in der Bevölkerung.

Das EEG war und ist die Basis für die in vielen Kommunen und Regionen wachsende „Energiewende von unten“.

Die erwarteten und beabsichtigten Preisdegressionen der EE-Anlagen sind im Großen und Ganzen realisiert worden. Zu beachten sind allerdings Weltmarkt-Preisschübe insbesondere bei Metallen.

Die Zusatzkosten der Energiewende sind nahe Null, wenn man alle volkswirtschaftlichen und alle ökologischen Effekte berücksichtigt (Merit-Order, Jobs und Einkommen, weniger Fossil-Importe, vermiedene Öko-Schäden, offene und verdeckte Subventionen).

Die Energiewende zeigt: Die kräftige Förderung des Richtigen (EEG) ist um Längen besser als die zögerliche und bislang kaum wirksame Bestrafung des Falschen (Emissionshandel).

2.       Die Energiewende ist ein Bewegungserfolg, auf dessen Grundlage bewegte Parlamentarier für Gesetze sorgten

Die Umweltbewegung im Allgemeinen und die Anti-AKW-Bewegung im Besonderen sind die gesellschaftlichen Grundlagen des Erfolgs.

Populärer Widerstand und populäre Bewusstseinsbildung haben die Optionen für atomare und fossile Energien in Einzelfällen unmöglich gemacht und gesellschaftlich zunehmend verengt.

Gefährliche und schmutzige Energien stehen unter Rechtfertigungszwang.

Die Pro-EE-Option wurde strategisch richtig ergriffen: Preisregulierung statt Mengenregulierung. Vorrang statt Gleichrang. Langfristige Garantien statt kurzfristige Anreize. Umlage statt Steuern.

Die Pro-EE-Option wurde taktisch klug auf den Weg gebracht und verteidigt. Breites Bündnis im Parlament. Breites Bündnis in der Gesellschaft.

3.       Das Geheimnis des EEG-Erfolges ist eine neuartige Verbindung von Plan und Markt

Seit dem Jahr 2000 zeigt das EEG, dass es möglich ist, einen ganzen Industriezweig mit politischen Mitteln umzugestalten. Das EEG ist das bislang wirksamste Instrument, um bewusst und vorausschauend für einen Strukturwandel zu sorgen.

Das Erfolgsrezept des EEG ist eine intelligente Kombination von Plan und Markt. Marktzugang (in diesem Falle Netzvorrang), Verkaufs- und Preisrisiken – üblicherweise zum Kern unternehmerischen Handelns gehörend – werden den Investoren abgenommen. Ihnen bleiben die Betriebs- und Technologierisiken sowie der Zwang zur Innovation.

Die marktwirtschaftlichen Kräfte werden auf das gelenkt, was sie können, also für Effizienz und technischen Fortschritt sorgen. Sie werden abgeschirmt von dem, was sie nicht beherrschen, von Konjunkturen und Preisbewegungen. Diese Ungewissheiten neutralisiert die Grundsatzentscheidung, erneuerbare Energien wachsen und als falsch erkannte Energien weichen zu lassen.

Aller Euphorie zum Trotz muss man nüchtern dem Faktum ins Auge sehen: Nicht das Umweltgewissen, sondern der finanzielle Vorteil begründet die Massenwirkung des EEG.

Je erfolgreicher das EEG wirkt, umso mehr muss es mit einem Umbau des gesamten Energiesystems verbunden werden. Wenn Wind und Sonne (in Deutschland) zu den beiden wichtigsten Energiequellen werden, dann muss sich der Rest des Energiesystems an ihnen ausrichten.

Ist diese Dynamik (Wind und Sonne setzen die Bedingungen für alles andere) unwiderruflich ins Werk gesetzt, dann ist die Energiewende auf der stofflichen Seite entschieden – aber noch längst nicht hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Organisationsformen.

4.       Aktuell umkämpft sind das Tempo und die Art der Energiewende

Bleibt das Tempo gewahrt und wird weiterhin ein erheblicher Teil der Energiewende dezentral realisiert, haben die großen Stromkonzerne in Deutschland mittelfristig keine Geschäftsbasis mehr.

David-Massen schlagen Goliath-Monopolisten: Hunderttausende PV-Anlagen machen in der Mittagszeit die schönsten Profitstunden der Stromkonzerne kaputt.

„Verzögern und übernehmen“ – so lautet das aktuelle, selbstverständlich nicht ausgesprochene Motto der Stromkonzerne. Sie müssen so handeln, weil sie dem Tempo der Energiewende bislang nicht gewachsen sind. Weniger Tempo bei PV und Wind Onshore heißt längere Laufzeiten für konventionelle Kraftwerke, größere Chancen für Wind Offshore und mehr Zeit für die Lösung gravierender Offshore-Probleme.

Eigenständige Handlungsmöglichkeiten für Haushalte, für kleine und mittlere Unternehmen, für Energiegenossenschaften und für Stadtwerke und Kommunen zu erhalten, bleibt wichtig. Die Investitionshoheit muss bei den Protagonisten der Energiewende bleiben – und das so weit wie möglich dezentral / bürgerschaftlich / kommunal.

5.       Die Gegner der Energiewende praktizieren eine einseitige Kostenverteilung und stellen auf dieser Grundlage die Preisfrage und die soziale Frage

Auf insgesamt rund 16 Milliarden Euro summieren sich die Begünstigungen und Befreiungen für gewerbliche Großverbraucher und stromintensive Industrie.

Der Strompreis für Haushalte und KMU wäre rund drei bis vier Cent je Kilowattstunde günstiger, wenn die Begünstigungen/Befreiungen auf ein akzeptables Maß sinken und wirksame Preisaufsichten die Weitergabe gesunkener Börsenpreise erzwingen würden.

Verlogene Kampagnen (Energiewende verteidigen – EEG abschaffen) hatten bislang nicht den erwünschten Erfolg. Aber selbst die absurdesten Argumente (Mengen statt Preise regulieren) werden nicht aufgegeben.

6.       Die Verteidiger der Energiewende haben schwierige Aufgaben zu bewältigen

Wer den ökologischen Fortschritt will, muss für Angstfreiheit im Wandel sorgen. Die Protagonisten der Energiewende sind aufgerufen, die soziale Frage in ihrer ganzen Wucht ernst zu nehmen und zu ihrer Entschärfung beizutragen. Geschieht das nicht, kann es doch noch zu einem Verzögerungsbündnis kommen.

In der Netzfrage haben die Gegner der Energiewende es geschafft, Verwirrung zu stiften. Die Verteidiger haben keine gemeinsame Botschaft.

Wie die Säulen des EEG (Einspeisevorrang, kostendeckende Preise für lange Zeiträume, Technologiebreite) im Einzelnen, insbesondere aber im systematischen Zusammenhang mit anderen Strukturelementen (Netze, Speicher, KWK, Wärme) weiterzuentwickeln sind, bedarf überzeugender Antworten.

Gebraucht werden mehr Aktivistinnen und Aktivisten, die das magische Pentagon beherrschen: geschäftliche Kompetenz, organisatorisches Talent, missionarischer Ehrgeiz, kommunikative Kraft und kommunale Akzeptanz.

7.       Die Energiewende zeitigt neue „grüne“ Verteilungskämpfe

Haushalte mit Wohneigentum und überdurchschnittlichem Einkommen entdecken die Energieautonomie als günstigste Form der Stromversorgung. Das „gute“ Prinzip Energieautonomie steht gegen das „gute“ Prinzip Gerechtigkeit. Der Kampf um die Verteilung der Infrastrukturkosten wird wichtig.

Provisorische Lösung: Der fixe Anteil an der Stromrechnung muss steigen, und es muss einen Anschlusszwang geben. Alternative: Steuerfinanzierung der Infrastrukturen, was sich allerdings bislang nicht bewährt hat. Denn: Engpässe in den öffentlichen Haushalten wurden und werden genutzt, um die Energiewende zu erdrosseln (siehe EE-Kappung in anderen Ländern).

Die EE-Branche sozial- und arbeitspolitisch erobern: Faire Arbeitsbedingungen und höherer gewerkschaftlicher Organisationsgrad.

8.       Die Energiewende kann der Einstieg in eine breitere sozial-ökologische Transformation sein.

In vielen Kommunen und Regionen ist eine „Energiewende von unten“ gelungen. Wie die Praxis zeigt, ist ein multidimensionaler „Return on Initiative“ möglich:

  • Minderung von CO2-Emissionen
  • Wertschöpfung vor Ort und neue Arbeitsplätze in Gewerbe und Landwirtschaft
  • Substitution von fossilen, importierten Energieträgern durch eigene, saubere Energieerzeugung
  • günstigere Energiepreise für private Haushalte und Unternehmen durch Nahwärmenetze und aufgrund des drastisch steigenden Anteils von Kraft-Wärme-Koppelung
  • Stärkung der kommunalen Demokratie, der kommunalen Steuerbasis und des bürgerschaftlichen Engagements
  • unmittelbare Verzahnung von BürgerInnen- und Kommunalinteressen
  • stabile regionale Kreisläufe durch bedarfsgerechte Abstimmung von Ressourcenbezug, Produktion und Verbrauch
  • gewinnbringende Verwertung von Rest- und Abfallstoffen statt kostenträchtige Entsorgung
  • vermehrtes eigenständiges Handeln von Kommunen, Stadtwerken, Bürgerschaft und Unternehmen
  • geringere Abhängigkeit von externen Interessen
  • Erweiterung des interkommunalen und interregionalen Austauschs (kein Konkurrenz-Projekt zwischen den Kommunen)
  • Stärkung des Umweltbewusstseins, des Energiewissens und des Interesses an innovativen technischen Lösungen
  • praktische Umsetzung nachhaltiger Entwicklungsmodelle.

Wenn kommunale/regionale Akteure erkennen, was sie können, dann ist die Übertragung der praktisch bewährten Energiemobilisierung auf andere Handlungsbereiche denkbar: Verkehr, Wohnen und andere Felder der Daseinsvorsorge.

Als Quintessenz dessen, was heute schon in Ansätzen praktiziert wird, erscheint am Horizont eine neue Art Kommune. Mit Bürgerentscheiden und Bürgerkontrollen demokratisiert. Mit dem Gebot vollständiger Transparenz jederzeit in ihrem gesamten Handeln durchschaubar und kontrollierbar. Weit mehr als heute wirtschaftlich handlungsbefugt und handlungsfähig.

Es ist an der Zeit, Kommunen anders zu denken: als Investor, Gestalter und als kräftiger Akteur, der seiner Bürgerschaft verpflichtet ist und alles tut, was ein Leben in möglichst freier Selbstbestimmung ermöglicht. Statt eines Handelnden in Not, eines Bittstellers gegenüber den Investoren, wären solche Kommunen Akteure, die selbst in die Hand nehmen, was einem guten Leben der Bürger dient.