Nationaler Energiegipfel: Die Stromkonzerne spüren die Kraft ihrer ökologischen Konkurrenz
Wird die begonnene Energiewende weiter gehen? Wächst die Zahl der Windräder, Solardächer und Biogasanlagen auch in den kommenden Jahren mit rasantem Tempo? Bleibt es bei der Renaissance des alten, wieder entdeckten Energieträgers Holz? Können Landwirte, Spediteure und Verkehrsbetriebe, die ihre Traktoren, LKW und Busse auf Biodiesel oder Pflanzenöl umgestellt haben, darauf vertrauen, dass die Mineralölsteuerbefreiung nicht angetastet oder zumindest ein spürbarer Steuervorteil vereinbart wird? Werden andere Kraftstoffe wie Bioethanol aus Getreide, Zuckerrüben oder Stroh und synthetischer Diesel aus beliebiger Biomasse eine Chance bekommen? Erleben wir eine Fortsetzung des technologischen Schubs, der neue, von Konzerninteressen unabhängige Energieunternehmen entstehen lässt? Können ehrgeizige Städte und Regionen, die sich vollständig von konventionellen Energieträgern emanzipieren wollen, auch künftig mit bundespolitischem Rückenwind rechnen? Oder werden sich willfährige Politiker vor den fossil-atomaren Karren spannen lassen und den Zug der Zeit aufhalten?
Der anstehende Berliner Energiegipfel am 3. April ist kein Beschlussgremium, aber er dürfte erste Hinweise geben, inwieweit CDU und SPD an ihrem Koalitionsvertrag und damit am langfristigen Atomausstieg und am Ausbau der erneuerbaren Energien festhalten, also an den Zielen, die für Strom- und Mineralölkonzerne ein Ärgernis sind. Sie verdienen zwar im Moment glänzend, müssen sich aber zunehmend fragen, wie verlässlich die Refinanzierung ihrer Investitionen ist, wenn Wind, Sonne und Biomasse ihren Vormarsch fortsetzen. Der regenerative Stromanteil hat die Zehn-Prozent-Marke überschritten, und manches Großkraftwerk kann nicht so ausgelastet werden, wie es die Konzernvorstände gern hätten.
Dass die früheren Steckenpferde von Öko-Freaks die ihnen zugedachte Nische längst verlassen haben, dass David zu einem ernsthaften Herausforderer von Goliath geworden ist, wollen RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW vor dem Publikum natürlich verbergen. Denn aus den dramatisch gestiegenen Erdöl- und Erdgaspreisen, der absehbaren Versorgungsunsicherheit und dem gleichzeitigen Erfolg regenerativer Energieträger könnten allzu viele Konsumenten und Firmen den Schluss ziehen, dass ökonomisch rational nur derjenige handelt, der auf die ökologische Karte setzt. Selbst kühl rechnende, konservative Unternehmer entdecken zunehmend den Charme der Autonomie, versorgen sich selbst mit Dampf und Wärme und verdienen am eingespeisten Strom.
Energiefragen sind Machtfragen – allen Liberalisierungen zum Trotz geht ohne Staatsgarantien in dieser Branche nichts. Das gilt für David, der ohne das „Erneuerbare Energien Gesetz“ mit seinen verbindlichen Vergütungssätzen für die Stromeinspeisung und ohne die Mineralölsteuerbefreiung von Biokraftstoffen nicht erwachsen geworden wäre. Das gilt aber auch für Goliath, dessen Angebot um ein Vielfaches teurer sein müsste, wenn er für Atomforschung, militärischen Ressourcenschutz und Klimaschäden selbst aufzukommen hätte. In einer Vollkostenrechnung haben die regenerativen Energien schon heute alle Argumente auf ihre Seite. Um so vernünftiger wäre es, dem bereits existierenden Vorrang von Ökostrom ein entsprechendes Wärmegesetz folgen zu lassen, die Energieeinsparung massiv zu fördern und das Steuerprivileg biogener Kraftstoffe beizubehalten. Politiker, die sich von Einflüsterungen und handfesten Zuwendungen fernhalten, würden – dem Beispiel Schwedens folgend – eine energiepolitische Agenda 2020 formulieren, die den schrittweisen Ausstieg aus dem Irrsinn festschreibt. Zugleich wäre ein ökologischer New Deal der Einstieg in ein groß angelegtes Beschäftigungsprogramm. Full-Time-Jobs zu Hause statt Öl und Gas von draußen – das wäre zwar eine fürchterlich populistische, aber in diesem Fall doch hilfreiche Forderung.