Unternehmenssteuerreform 2008: Das Volk saniert die Staatsfinanzen – der Finanzminister die Konzerne
„Allianz mit Rekordgewinn“ – „BASF-Zahlen überzeugen“ – „Für Conti läuft es bestens.“ Tolle Stimmung erfasst die DAX-Vorstände. Selbst der deutsche Mittelstand erfreut sich wieder, wie es heißt, exzellenter Geschäftsaussichten. Aber all das reicht noch nicht, sagt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und bringt seine Mitarbeiter auf Trab. Fleißig haben sie gearbeitet und ein 156 Seiten starkes Papier verfasst, das man Gesetz zur dauerhaften Aufstockung hoher und höchster Einkommen nennen könnte. Dieser Titel wäre allerdings nicht populär – weder beim Wahlvolk noch in der SPD. Deshalb braucht die Kommandoaktion eine neutrale Verpackung, ohne Glanz und Glamour. Und einen Namen, der keinen Argwohn weckt. Zum Beispiel „Unternehmenssteuerreform 2008“.
Schwarz-rote Präsentkörbe
Was der von Steinbrück vorbereitete und vom Kabinett in der Vorwoche gebilligte Staatsstreich bedeutet, wird allmählich sichtbar. Noch im Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD Ende 2005 vereinbart, dass die erneute Reform der Unternehmensbesteuerung die öffentlichen Haushalte nichts kosten solle. Dann war von fünf Milliarden und jetzt ist von 6,5 Milliarden Euro die Rede, die zumindest in den ersten Jahren von den Finanzämtern als Steuerausfall zu verkraften seien. Lucas Zeise, der Finanzkommentator der Financial Times Deutschland, und andere Kritiker wie der Wiesbadener Steuerexperte Lorenz Jarass meinen dagegen, dass es durchaus auch zehn bis zwölf, vielleicht sogar 15 Milliarden werden könnten, und erinnern an die grandiose Fehleinschätzung des ehemaligen Bundesfinanzministers Eichel, ebenfalls SPD.
Im Jahr 2001, als die Verteilung der damaligen rot-grünen „Geschenke“ begann, rutschte beispielsweise die Körperschaftsteuer von 23,6 Milliarden Euro auf minus 426 Millionen, das heißt, per saldo haben die Unternehmen in dieser Steuerart keinen Cent bezahlt, sondern Erstattungen bekommen. Später haben sich die Steuerzahlungen der Unternehmen zwar wieder stabilisiert, aber insgesamt sind Ausfälle in dreistelliger Milliardenhöhe aufgelaufen und wurden ihrerseits wieder politisch missbraucht – für die „unausweichliche“ Agenda 2010 von Schröder und für die „dringend notwendige“ Mehrwertsteuererhöhung der großen Koalition.
Nun scheint manchen Sozialdemokraten zu dämmern, dass es auch künftig solche Zusammenhänge zwischen Unternehmenspflege und Massenbelastung geben könnte. Eigentlich würden sie Merkel und den eigenen Finanzminister gern stoppen. Aber sie trauen sich nicht. Statt wenigstens an den Koalitionsvertrag zu erinnern, der noch von Aufkommensneutralität sprach, appellieren sie an Steinbrück: Bitte nicht mehr als fünf Milliarden für Unternehmen, denen es doch so gut geht. Diese zahme Kritik wird hilflos bleiben. Denn die Kritiker belassen es beim reinen Zahlenappell, statt Steinbrücks Machwerk grundsätzlich in Frage zu stellen. Schließlich ist die Richtung, die der SPD-Finanzminister vorgibt, nicht in diesem oder jenem Detail, sondern von Grund auf falsch.
Selbst wenn die Unternehmenssteuern auf Bagatellgrößen sinken, werden neue Produktionsanlagen und damit Arbeitsplätze nur entstehen, wenn die Produkte auch abgesetzt werden können. Zu Recht hatte die SPD deshalb im Wahlkampf 2005 gesagt, dass die Konsumenten mehr Geld in der Tasche brauchen. Keine Erhöhung der Mehrwertsteuer, forderten also die Sozialdemokraten, während die CDU von zwei Prozent Aufschlag sprach. Dann erlebte das Volk die Rechenkünste von Merkel und Steinbrück. Aus Null plus Zwei wurden Drei. Als die große Koalition mit dieser Mathematik der besonderen Art begann, rieb sich mancher verwundert die Augen. Und die Gutwilligen sagten sich vielleicht: Na gut, dann müssen wir eben für die Sanierung der öffentlichen Haushalte in den sauren Apfel höherer Preise beißen.
Jetzt aber präsentieren uns Merkel und Steinbrück die ganze Geschichte, nicht nur die Zahler, sondern auch die Begünstigten. Denn die seit Jahresbeginn auf 19 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer wird quasi gleich weiter gereicht, zumindest schafft sie den finanzpolitischen Spielraum, um ab 2008 diejenigen, die seit Jahren schon von stagnierenden Löhnen, fantastischen Gewinnen und früheren Steuersenkungen profitieren, noch mal kräftig zu entlasten. Natürlich würde Steinbrück, der Technokrat, niemals zugeben, dass es solche Zusammenhänge gibt. Von nominellen Steuersätzen redet er, die international nicht wettbewerbsfähig seien. Dabei weiß er aus den Excel-Tabellen seiner Behörde, dass die Steuersätze der Kapitalgesellschaften, die sich in der Bundesrepublik mit Körperschaft- und Gewerbesteuer inklusive Solidaritätsabgabe derzeit noch auf knapp 39 Prozent summieren, mit der Realität der tatsächlich gezahlten Steuern wenig zu tun haben. Bilanzierungsvorschriften und Gestaltungsmodelle sorgen dafür, dass Konzerne und große Personengesellschaften ihre eigentlich fällige Steuerschuld drastisch reduzieren. In keinem anderen Land Europas ist die Kluft zwischen Steuersätzen und wirklicher Zahlung an die Finanzämter so groß. Internationale Steuervergleiche der Europäischen Kommission oder der OECD haben das immer wieder bestätigt.
Noch absurder ist Steinbrücks zweites Argument. Niedrigere Steuern für die Unternehmen würden Investitionen anregen. Wenn es diese Wirkung wirklich gäbe, hätte es in den Schröder-Jahren ein wahres Feuerwerk der Investitionen geben müssen. Aber nach den großen Steuergeschenken von SPD und Grünen ist nichts geschehen. Im Gegenteil: Die Unternehmen haben ihre Konten und die Aktionäre gepflegt, Investitionen und Arbeitsplätze sind von 2001 bis 2004 auf ein Rekordtief gesunken. Und umgekehrt hätte es in Frankreich oder in den USA, also den Ländern mit einer nicht nur nominell, sondern auch tatsächlich hohen Steuerbelastung der Unternehmen, keine – im Vergleich zu Deutschland – höheren Investitionsquoten geben dürfen.
Niedrigster Steuersatz aller G 7-Staaten
Der einzige Trumpf in Steinbrücks Ärmel ist die Unwissenheit seines Publikums in Partei und Fraktion. So kann er unbehelligt darüber schwadronieren, dass die Gesamtbelastung der deutschen Unternehmen unabhängig von der Rechtsform unter 30 Prozent liegen müsse. Vor allem der Satz für die Körperschaftsteuer soll drastisch fallen, von 25 auf 15 Prozent. Kommt Steinbrück mit seinem Vorhaben durch, den Maximalbetrag, der sich aus der Addition unterschiedlicher Steuerarten ergibt, auf 29,83 Prozent des jeweiligen Gewinns zu drücken, dann hat die Bundesrepublik den niedrigsten Steuersatz aller G 7-Staaten (USA 40 Prozent – Japan 40,5 – Frankreich 33,3 – Großbritannien 30 – Italien 37,3 – Kanada 36,1).
In der Praxis dürfte dieser Konkurrenzvorteil noch wesentlich größer ausfallen, weil die Bilanzierungs- und Gestaltungskreativität in Deutschland besonders ausgeprägt ist und die Bemessungsgrundlage schmelzen lässt, auf die dann die Steuersätze anzuwenden sind. Nun will zwar Steinbrück mit neuen, manipulationsfesten Vorschriften dafür sorgen, dass Gewinne, die in der Bundesrepublik erwirtschaftet worden sind, nicht mehr so leicht in Steueroasen und Niedrigststeuerländer verlagert werden können. Ob diese „Repatriierung“ gelingt und damit die Steuerbasis verbreitert, ist aber durchaus zweifelhaft. Denn im Zuge des jetzt angelaufenen Verfahrens der Gesetzgebung bringen die Unternehmerverbände ihre Rechtsanwälte und parlamentarischen Vertrauensleute in Stellung, um Steinbrücks „Gegenfinanzierung“ zu durchlöchern wie einen Schweizer Käse. So werden sich „fest geplante Einnahmen“ wie gewohnt in „Luftbuchungen“ verwandeln und die Steuerausfälle in jene Dimensionen treiben, vor denen die Kritiker heute schon warnen.
Der Volkswirt Steinbrück mag cleverer sein als der brave Lehrer Hans Eichel, und doch könnte auch er sich als nützlicher Idiot erweisen, der im konjunkturellen Aufschwung, zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt also, die höchsten und am stärksten steigenden Einkommen von Steuern entlastet. Für eine spektakuläre Innovation der Vermögenspflege ist ihm die Ehre der Verantwortung schon jetzt gewiss. Die so genannte „Abgeltungssteuer“ für Kapitalerträge, wie etwa Zinsen und Dividenden, die auch zur „Unternehmensteuerreform 2008“ gehört, soll ab kommendem Jahr nur noch einheitlich 25 Prozent betragen. Damit entfällt für die Reichen, die von ihren leistungslosen Einkommen leben, die Steuerprogression komplett. Und der besondere Clou: Für die Feststellung der Steuerschuld sollen die Mitteilungen der Vermögensverwalter reichen. So werden ausgerechnet die Banken, denen in der Vergangenheit systematische Steuerhinterziehung für ihre besten Kunden nachgewiesen worden ist, zur Vertrauensinstanz der Behörden. Der handlungsfähige Staat, von dem Steinbrück gerne spricht, verkommt zur steuerlichen Selbstverwaltung der oberen Zehntausend. Dass im Gegenzug bei denen, die nichts haben, schärfste Kontrollen von Konten und Schlafzimmern notwendig sind, ist wohl als Beitrag zur gesellschaftlichen Balance zu verstehen.
Erschienen im >Freitag< 12 23.03.2007