Kommentar zur Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“
Die „Volle-Pulle-Wachstum-Partei“ hat gewonnen. Der von der FDP benannte Sachverständige, Professor Christoph Schmidt, Chef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, drückt dem Indikatoren-Bericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ seinen Stempel der Verharmlosung auf. Professor Schmidt hat die Indikatoren-Diskussion über weite Strecken dominiert und seine Ziele durchgesetzt: 1) das kritische Anliegen der Kommission in einer möglichst großen Masse von Indikatoren ertränken; 2) Wohlstandsmaße durchsetzen, die Probleme wie etwa die Ungleichheit in der Gesellschaft oder den Raubbau an der Natur kaum oder verharmlosend zum Ausdruck bringen.
Die Enquete-Kommission war mehrheitlich (FDP, Union und leider auch die SPD) nicht willens, die zentralen Dimensionen der sozialen und ökologischen Entwicklung kritisch zu würdigen und entsprechende Indikatoren zu identifizieren. Ein Tableau aus insgesamt 20 Indikatoren ist einer breiten Öffentlichkeit nicht vermittelbar. Abwegig ist darüber hinaus die Aufgliederung des Indikatorensatzes in zehn Leitindikatoren, neun Warnlampen und eine Hinweislampe – ein abstruses Zahlenspiel mit kryptischer Beleuchtung. Zu diesem Sammelsurium gehören zum Beispiel: Verschuldungsstand der öffentlichen Hand, Beschäftigungsquote, Lebenserwartung, Stickstoffbilanz und sogenannte Kredit-, Aktienkurs- und Immobilienpreislücken und vieles andere mehr. Dieser mehrheitlich beschlossene Indikatorensatz wird kaum öffentliche Aufmerksamkeit finden und keine nennenswerte politische Wirkung entfalten.
DIE LINKE hat gemeinsam mit den Grünen und mit dem CDU-Sachverständigen Professor Meinhard Miegel immer wieder darauf hingewiesen, dass man sich bei der Auswahl von alternativen Wohlstandsmaßen auf wenige beschränken muss. Leider haben das die SPD-Mitglieder in der Projektgruppe nicht begriffen und sich immer wieder auf Wünsch-Dir-Was-Diskussionen eingelassen. So kam es in der Indikatoren-Projektgruppe der Kommission zu einer merkwürdigen konservativ-liberal-sozialdemokratischen Koalition unter Führung der FDP. Was am Ende mehrheitlich beschlossen wurde, dürfte für die rechtsliberale Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, bei der Professor Schmidt kräftig mitwirkt, ein willkommener Triumph sein.
In einem Sondervotum hat DIE LINKE die Mehrheitsbeschlüsse scharf kritisiert und einen eigenen Indikatoren-Vorschlag präsentiert: das „Trio der Lebensqualität“. In diesem Trio stehen die durchschnittlichen Bruttolöhne für den materiellen Wohlstand, die Klassenspaltung bei den Vermögensbeständen für die soziale und gesellschaftliche Teilhabe und der ökologische Fußabdruck für die Nutzung beziehungsweise Gefährdung der Biosphäre. Mit diesen drei Indikatoren kommen diejenigen Dimensionen zum Ausdruck, die dringend der Korrektur und der Umkehr bedürfen.
Erstens sind die durchschnittlich gezahlten Löhne seit etwa 1995/96 deutlich hinter der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zurück geblieben. Sie sind – im Unterschied zum Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – ein sensibles Maß für die Teilhabe beziehungsweise Nicht-Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an der wirtschaftlichen Entwicklung.
Zweitens ist seit langem bekannt, dass materielle und finanzielle Ungleichheit der entscheidende Faktor ist, der auch andere, nicht-monetäre Ungleichheiten verschärft. Wenn Arm und Reich finanziell auseinanderdriften, dann wachsen auch die Ungleichheiten der Lebenserwartung, der Gesundheit, der Bildung, des Schutzes vor Gewalt, der Teilhabe an der gesellschaftlichen Willensbildung und vieler anderer Aspekte der Wirklichkeit. Wer also materielle Ungleichheit gut und verlässlich erfasst, hat viele sonstige soziale Dimensionen implizit ebenfalls erfasst. Ungleichheit zeigt sich am krassesten bei den Vermögen – vor allem, wenn man das reichste Prozent der Bevölkerung ins Verhältnis setzt zur ärmeren Bevölkerungshälfte. Dann zeigt sich in Deutschland eine dramatische Reich-Arm-Verteilung von 1.250 zu 1 (Daten für 2007 auf Basis des Sozioökonomischen Panels und diverser Wealth Reports).
Künftig wird besonders wichtig sein, dass sich möglichst viele Menschen an der ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft aktiv beteiligen können. Wer den zivilisatorischen Fortschritt will, muss aber auch für Angstfreiheit im Wandel sorgen. Je gerechter der materielle Wohlstand verteilt ist und je mehr Menschen an ihm partizipieren können, desto stärker wird die Bereitschaft, den notwendigen Umbau mit voran zu treiben. In diesem Sinne bedarf es einer deutlichen Reduktion von Ungleichheit.
Drittens ist der ökologische Fußabdruck ein ausgereifter, zusammenfassender und weltweit an Akzeptanz gewinnender Indikator für unseren Umgang mit der Natur. Er zeigt an, inwieweit menschliche Aktivitäten die Biosphäre nutzen und durch Übernutzung gefährden. Der ökologische Fußabdruck hat im Vergleich zu anderen, in der Regel auf einzelne Umweltaspekte bezogenen Indikatoren vielfältige Vorteile:
- · ermöglicht weltweite Vergleiche und nachvollziehbare Zielbestimmungen,
- · ist ein leicht verständliches und gleichzeitig wissenschaftlich begründetes Maß,
- · enthält eine gut begründete Norm („Lebe nicht oberhalb Deiner ökologischen Verhältnisse“) und ist deshalb gleichzeitig ein Gegenwarts- und ein Nachhaltigkeitsmaß,
- · ist ein Indikator für die gefährdete Biodiversität (weil er benennt, in welchem Umfang menschliche Aktivitäten den Lebensraum von Pflanzen und Tieren verringern),
- · ist eine passende Ergänzung des Bruttoinlandsprodukts (weil er eine länderbezogene jährliche Flussrechnung bietet),
- · ist sensibel für die unterschiedlichen Gegebenheiten in einzelnen Ländern (weil er die Größe der Bevölkerung, die Unterschiedlichkeit der Flächennutzungen und der Ertragsfähigkeiten berücksichtigt),
- · hat klare Vorteile hinsichtlich der technischen Umsetzung. Internationale Datenreihen von 1961 bis heute liegen vor. Das Berechnungsverfahren ist aufwändig (5.400 Datenpunkte), dabei aber vollständig transparent und offen für Weiterentwicklungen.
- · kann auf große, kleine und kleinste Gebietskörperschaften bezogen werden – bis hinunter auf die Ebene von Städten, Gemeinden und sogar einzelnen Individuen. Ist deshalb in der Lage, die unmittelbare Handlungsebene von Menschen mit den großen globalen Zusammenhängen zu vermitteln.
- · benennt ökologische Gläubiger, die unterhalb der Tragfähigkeitsgrenze leben, und ökologische Schuldner, die ökologische Substanz verzehren.
erschienen auf www.postwachstum.de