April 2015
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Eine gut gestellte Frage ist schon die halbe Antwort. Diese alte Weisheit gilt erst recht beim Thema Zukunft. Wer sich im Unbestimmten, im Künftigen, nicht völlig verirren will, sollte seinen Fragenkatalog schärfen. Angesichts vielfältiger Gefahren und Chancen, angesichts des moralischen Verfalls zunehmend kriegsbereiter Herrschaften und breiten Engagements in der Gesellschaft sollte unser Wissen-Wollen ernsthafter und konsequenter werden. Vielleicht gelingt es dann, die bislang getrennten Welten der sozialen Bewegungen, der Öko-Milieus, der Projekt-Pioniere und der traditionellen Gerechtigkeitsagenturen in Beziehung und zu gemeinsamen Aktionen zu bringen – oder, falls das nicht geht, neue Mobilisierungs- und Organisationsformen zu finden. Es ist an der Zeit, die Bescheidenheit zu überwinden, wenn die Befunde eines multiplen Traumas unübersehbar sind.
Die politische Starre in Deutschland mag uns mächtig auf die Nerven gehen. Schaut man aber weniger auf das offizielle Politikgeschäft (mit all seinen Idiotien, Verlockungen und Sümpfen, in denen auch DIE LINKE steckt) und mehr auf die Gesellschaft insgesamt, dann ist – bei allen negativen Tendenzen, die nicht zu ignorieren sind – auch ein wenig Hoffnung angesagt. Denn massenhaft gibt es zumindest die Ahnung, dass vieles in Wirtschaft und Gesellschaft grundsätzlich falsch läuft. Deutlich spürbar ist der Glaubwürdigkeitsverlust der Herrschenden in Wirtschaft, Staat, Parteien und Medien. An tausenden Kneipentischen ist ein Nachdenken über das Was und das Wie anstehender großer Veränderungen zu vernehmen. Millionen Menschen äußern das Verlangen nach mehr Gleichheit und Gerechtigkeit.
Vielleicht nicht ganz so massenhaft gibt es neben all den Diskussionen auch Taten: Engagement für diesen oder jenen guten Zweck, Aktivität in Ein-Punkt-Bewegungen und praktische Bemühungen jenseits der traditionellen Staat-Markt-Linie. Gleichzeitig ist auch nicht zu übersehen: die Verwirrung über nicht nur punktuelle, sondern gesellschaftliche Alternativen; die Gefahr des Rückzugs auf scheinbar Verlässliches (Nation, Religion); der Zweifel an der Veränderbarkeit der harten Strukturen des Eigentums; auch die Verzweiflung an der scheinbaren Unveränderbarkeit des ökonomischen Machtkerns. Aus all dem folgt im Alltag der Aktivistinnen und Aktivisten erstens die Beschränkung auf den erreichbaren reformatorischen Horizont und zweitens der stille Verzicht auf die praktische Bearbeitung der großen Themen. Dabei kann und darf es nicht bleiben. Deshalb nachfolgend ein kommentierter Fragenkatalog, der die Befangenheit im Unmittelbaren aufzuheben und weitergehende Perspektiven zu finden versucht.
Bewegung der Bewegungen
Ist eine Bewegung der Bewegungen denkbar, die dafür sorgt, dass die Überlebensthemen das gemeinsame Fundament vieler Bewegungen und Kampagnen werden? Oder ist die Vielfalt unbedingt aufrechtzuerhalten, um nur bei Bedarf und punktuell Bündnisse zu bilden? Wenn aber die Vielfalt die zu bewahrende Stärke ist, wie kommt dann diese Vielfalt zu großen, gemeinsamen Aktionen?
Naomi Klein, Bill McKibben und andere vertreten seit längerem die Auffassung, dass die Überlebensthemen das gemeinsame Fundament vieler Bewegungen und Kampagnen werden könnten und sollten. Etwa nach dem Motto: Alle stärken ihre jeweiligen Anliegen, indem sie nicht nur, aber eben auch und vor allem mit ökologischer Begründung fundamentale Änderungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen fordern. Dann wird es vielleicht wieder möglich, große Probleme und große Strukturen nicht nur zu benennen, sondern als tatsächlich veränderbar ins Visier zu nehmen. Es geht darum, die jeweils besonderen Veränderungsimpulse zu verbinden und dadurch an großen Fronten wieder handlungsfähig zu werden. Dass diese Verbindung grundsätzlich möglich sein sollte, folgt aus zwei Überlegungen. Erstens bedroht eine gefährdete Lebensbasis zumindest mittelfristig alle Gerechtigkeitsforderungen. Zweitens werden alle Gerechtigkeitsforderungen umso stärker, je mehr sie eine zwingende ökologische Begründung auf ihrer Seite haben. Das ergibt – in Naomi Kleins Worten – eine progressive Agenda mit naturwissenschaftlicher Begründung.
Schwachstellen der Gegner und Türen finden, die zu öffnen sind
Wo, an welchem Ansatzpunkt gibt es vielleicht die Chance, über das Anti (Protest, Widerstand) zu einem halbwegs aussichtsreichen Pro zu kommen, das länger anhaltende Kampagnen tragen kann? Ist das Verlangen nach Volksentscheiden auf Bundesebene breit mobilisierbar? Sollte man versuchen, einen noch nicht formellen, sondern selbstorganisierten Volksentscheid zu einer Frage auf die Beine zu stellen, die Soziales und Ökologisches massenwirksam verbindet?
Stellen wir uns vor, die Bevölkerung hätte nicht nur Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten, sondern auch attraktive Verbindungen von Ökologie und Gleichheit sowie Minimal- und Maximalwerte beim Vermögen und beim Einkommen zu wählen und der Mehrheitswille wäre verbindlich, dann würden sich ganz neue Horizonte eröffnen. Die grundsätzliche Haltung wäre ganz einfach und müsste auch kommunizierbar sein: Die Demokratie gilt, der Souverän ist souverän.
Besondere Druckpunkte und allgemeine Treffgenauigkeit
Wenn jedes Land seine jeweils spezifischen Druckpunkte hat, die es erlauben, eine bereits geöffnete Tür weiter zu öffnen (in Deutschland Energiewende, kommunale Bürger- und Volksentscheide), wie kommen wir dann zu Mobilisierungsthemen, die von vornherein internationales Potenzial haben?
Gegenstrategien müssen passen. Die in Nordamerika bereits erfolgreiche und allmählich auch in Großbritannien anlaufende Desinvestment-Kampagne ist für Deutschland keine passende Strategie. Es gibt bei uns reichlich konzentrierten Reichtum, aber kaum politisierbare große Vermögen wie gewerkschaftsnahe Pensionsfonds oder universitäre Stiftungsvermögen. Desinvestment ist ein passender Slogan für eine vom Investmentbanking geprägte Gesellschaft. Bei uns ist das anders, weil wir – zumindest energiepolitisch – schon weiter sind. In Deutschland kommt es erstens darauf, unsere Gegner auf der stofflichen Seite und unmittelbar zu treffen (ehemals Anti-Atom, heute Anti-Kohle), und zweitens bleibt die Aufgabe wichtig, die vorhanden Kanäle und gesetzlichen Grundlagen allen Widrigkeiten zum Trotz auch weiterhin für das Richtige zu nutzen (Rekommunalisierung, Bürgerentscheide, Projekte erneuerbarer Energie, 100%-EE–Kommunen, regionale Energiekonzepte, gute kommunale Verkehrs- und Wohnprojekte).
Über die Defensive zur Offensive
Welche vorhandenen Mobilisierungsthemen bieten Skalierungspotenzial über den unmittelbaren Anlass hinaus? Wie lässt sich die klassische Vorgehensweise (Gegner identifizieren, an seinen schwachen Flanken attackieren und dort Erfolge erzielen) so weiten, dass der erzielte Erfolg ein Anfang für weiterreichende Forderungen ist? Wie kann man dafür sorgen, dass aus der Bewegung heraus (nicht aus der Starre) immer auch Fragen der Strategie und der Organisation geklärt werden?
Die Subjektfrage neu stellen
Ist es noch denkbar, dass sich wie in früheren Zeiten (Bürgerbewegung, Arbeiterbewegung) Menschen massenhaft zusammentun, um ihr ökonomisches Interesse politisch durchzusetzen? Wo gibt es analog zur früheren Arbeiterbewegung Subjekte mit einem starken Interesse an Veränderung und mit der dazu passenden Organisationsfähigkeit? Welche Lehren sind aus den bisherigen „starken“, aber jeweils nur kurzzeitigen Bewegungen in Westeuropa und Nordamerika wie Mai 1968 und Occupy Wallstreet zu ziehen? Warum ging plötzlich etwas und warum versandete das sehr schnell wieder? Ist die Subjekt-Frage heute primär territorial zu stellen (frontline communities)?
Es gehört zur linken Tradition, die Subjektfrage objektivistisch zu stellen. Der Gedankengang geht so: Die äußeren Umstande, primär die ökonomischen, veranlassen, bilden und treiben die Menschen, die dann irgendwann den Spieß umdrehen und sich bewusst zu wehren beginnen. Diese Art, die Subjektfrage zu denken, verleitet dazu, viele Aspekte der Formung und Selbstbildung von Subjektivität nicht ins Auge zu fassen. Es wäre also wichtig, sehr viel genauer zu wissen, was im Äußeren, aber auch im Inneren bei manchen Menschen für Aktivität und bei anderen für Passivität sorgt. Ebenso wichtig wäre es, die Wegscheiden zu begreifen, bei denen es um Richtungsentscheidungen geht, die – einmal getroffen – für längere Zeit gelten. Die Energiepolitik liefert eine Reihe von Beispielen. Warum Anti-Atom in Deutschland und Pro-Atom in Frankreich? Warum Pro-Wind in Dänemark, aber nicht in den Niederlanden? Weshalb AKWs in der Schweiz, aber nicht in Österreich?
Politisierung der Projekte-Welt
Inwieweit und in welchen Projekten passiert genau das, was auch politisch notwendig ist, nämlich der Übergang von der vorherrschenden, rein technisch-grünen Objektorientierung zur viel radikaleren grünen Subjektorientierung, vom Ding-Grün des Ingenieurs und des Bio-Konsumenten hin zum gleichen ökologischen Menschenrecht? Wie kommen wir zu einer systematischen, kritischen und handlungsrelevanten Analyse wegweisender Projekte (eine Art Ostrom-Analyse der Alternativen)?
Neue Normen und neue Narrative bleiben fleisch- und lustlos, sofern sie keine eigene Praxis und kein eigenes, zur Nachahmung inspirierendes Anschauungsfeld haben. Zum Glück gibt es längst nicht nur andere Gedanken, sondern auch andere Taten. Weltweit sind tausende Gegenprojekte zu finden. Inseln der selbstbestimmten Vernunft gibt es überall: erneuerbare Energie in kommunaler Regie und mit Investitionen in eigener Hand; weitgehend autofreie Innenstädte mit unentgeltlichem, öffentlichen Personennahverkehr; fairer Handel mit dem Doppelziel von mehr Gerechtigkeit und mehr Nachhaltigkeit; Eigenproduktion von Konsum- und Produktionsmitteln auf High-Tech-Basis; Anbau und Konsum von Lebensmitteln in regionalen und selbst in urbanen Kreisläufen.
Massenhaft brechen Pioniere mit dem Gewohnten, verwandeln Bedenken in Taten. Aktivistinnen verlassen den üblichen Pfad, probieren aus, was gestern noch waghalsig schien. Selbst manche Unternehmerinnen und Unternehmer, Landwirte und Geschäftsführungen öffentlicher Betriebe dehnen den Rahmen des Möglichen. Wie diese vielfältige Projekte-Welt in die gesellschaftlichen Debatten ausstrahlen kann, ist bislang weitgehend unbekannt, wäre aber wichtig, um die Zuversicht, dass Alternativen wirklich machbar sind, zu stärken.
Dialog mit den „wirtschaftstechnischen Reformern“
Warum verzichtet ihr darauf, mit starker und richtungssicherer Politik die Anlage-Bedrängnis des Kapitals auszunutzen und gezielte Strukturpolitik zu betreiben? Warum setzt ihr nur auf einzelne grüne Produkte und einzelne grüne Produktionsprozesse und nicht auf systemische Öko-Effizienz? Wenn das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) so erfolgreich war, warum denkt ihr dann nicht über weitere strukturverändernde gesetzliche Grundlagen nach?
Bereits seit 2008 und aktuell wieder sehr akut herrscht Anlagenotstand. Hunderte Milliarden Euros und Dollars finden keine halbwegs verlässliche Verwendung. Diese Verlegenheit könnte die Politik als Aufforderung betrachten: endlich sind starke strukturpolitische Vorgaben möglich und nötig. In Deutschland und anderswo lassen Regierungen diese historische Chance links liegen. Und zusätzlich verzichten sie darauf, Infrastrukturen mit Krediten zu Null-Zinsen ökologisch zu modernisieren. Stattdessen werden jene Felder, die bislang öffentlichen Investitionen vorbehalten waren, für privates Kapital und seine verzweifelte Suche nach verlässlicher Verwendung geöffnet. Der Anlagenotstand ist nicht der alleinige, aber doch ein wesentlicher Grund für die Reform (Deform) des EEG, für Gabriels Investitions-Offensive und für die Welle neuer Freihandels- und Investitionsabkommen. Zu befürchten ist also, dass elende Formen der Finanzialisierung noch mehr dominieren statt eingedämmt zu werden.
Die Privatwirtschaft kann singuläre Öko-Effizienz hervorbringen, aber keine systematische. Verbrauchsarme Autos, aber keine effizienten Verkehrssysteme. Öko-Häuser, aber keine ökologisch sinnvollen Siedlungsstrukturen. Effiziente Heizungen und Elektrogeräte, aber keine nachhaltigen Energiesysteme. Bio-Lebensmittel, aber keine Bio-Agrarsysteme. Kulturkritiker würden vielleicht ergänzen: effizient organisierte Biografien, aber keinen gesellschaftlichen Sinn. Das alleinige Setzen auf die singuläre und nur produktbezogene Öko-Effizienz ist borniert, weil sie nicht erkennt, dass die großen ökologischen Effekten im Systemischen liegen: autofreie Innenstädte, genossenschaftliches und kollektives Wohnen, Energieautonomie mit Wind und Sonne, regionale Agrarkreisläufe, Netze kompetenten Handwerks statt Wegwerfen und Neukaufen.
Seit dem Jahr 2000 zeigt das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG), dass es möglich ist, einen ganzen Industriezweig mit politischen Mitteln umzugestalten. Das EEG ist das bislang wirksamste Instrument, um bewusst und vorausschauend für einen Strukturwandel zu sorgen. Das Erfolgsrezept des EEG ist eine intelligente Kombination von Plan und Markt. Verkaufs- und Preisrisiken – üblicherweise zum Kern unternehmerischen Handelns gehörend – werden den Investoren abgenommen. Ihnen bleiben die Betriebs- und Technologierisiken sowie der Zwang zur Innovation. Anders gesagt: Die marktwirtschaftlichen Kräfte werden auf das gelenkt, was sie können, also für Effizienz und technischen Fortschritt sorgen, und sie werden abgeschirmt von dem, was sie nicht beherrschen, von Konjunkturen und Preisbewegungen.
Diese Ungewissheiten neutralisiert die gesellschaftliche Grundsatzentscheidung, erneuerbare Energien wachsen und als falsch erkannte Energien weichen zu lassen. Kann dieses Modell einer Verknüpfung von gesellschaftlichem Wollen und einzelwirtschaftlichem Wirken nicht das anregen, was in vielen Branchen notwendig ist, nämlich den schnellen Rückbau ressourcenverschlingender und den ebenso schnellen Aufbau naturverträglicher Wirtschaftsstrukturen? Bislang wird diese Suchrichtung selten verfolgt. Bislang dominiert die Auffassung, dass es möglich sei, die herkömmliche Wirtschaftsweise sowie ihre Steuerungs- und Anreizregeln zu »durchgrünen«, ohne sie substanziell zu ändern, ohne sektorale Entwicklungen massiv zu beeinflussen.
Dialog mit den „Konsumrevolutionären“
Wie wird eine Postwachstumsökonomie denkbar und machbar, die über Nischen hinausgeht und Terrain erobert? Wie soll die untere Hälfte der Gesellschaft den Sinn der Wachstumskritik entdecken, wenn „Befreiung vom Überfluss“ nur wie eine Selbsterkenntnis verwöhnter Milieus klingt? Kann Postwachstumsökonomie jenseits der Projektpioniere und der einsichtigen Privilegierten nur dann zu einem starken Leitbild werden, wenn sie die Freiheit, ein anderes, selbstbestimmtes und ressourcenleichtes Leben zu führen, zu vergesellschaften versucht? Warum sucht ihr Konsumrevolutionäre nicht ein Bündnis mit den Verteilungsaktivist_innen und sagt deutlich: hohe Einkommen sind nicht nur moralisch verwerflich, sondern ein ökologisches Verbrechen?
An das reduktionsfähige Individuum zu appellieren, ist notwendig, aber offenkundig nicht hinreichend. Die Macht, sich vom Ballast zu befreien, haben die Einkommensprivilegierten, eher auch die Gebildeten und Ungebundenen. Sie haben das Eintrittsticket zum Club der Weltenretter schnell bei der Hand. Nicht-Shoppen, Nicht-Fliegen, Bio-Essen – all das kann relativ leicht in den Alltag einziehen und anschließend das Prestige in der jeweiligen Community heben, wenn die Freiheit zum Weniger und zum Anders eine gewisse Größe hat. Was aber machen Alleinerziehende, Arbeitslose, Niedrigverdienerinnen, Schmalspurrentner und Durchschnittsfamilien in den teuren Metropolen? Miete, Strom, Heizung, Fahrten zur Arbeit sowie der Bedarf an Kleidung und allerlei Gerät sind nur in engen Grenzen zu beeinflussen. Ein beträchtlicher Teil der Lebenskosten ist fix und nicht rein individuell, sondern eher gesellschaftlich bestimmt.
Vom Einkommenswachstum sind Millionen Menschen in Deutschland und Europa schon seit Jahren abgekoppelt. Für sie ist das finanzielle Weniger in keiner Weise ein qualitatives Mehr, sondern echte Bedrängnis. Der individuelle Wachstumsverrat kann stärker und politischer werden, wenn er aufnimmt, was als mehrheitliches Verlangen schon da ist: existenzielle Not abschaffen, Ungleichheit drastisch reduzieren, den Basisbedarf verlässlich regeln, die Gemeinwirtschaft mit einem kräftigen Schuss direkter Demokratie ausbauen.
Von der Negation zur Position
Wie lassen sich die Idiotien heutiger Wirtschaft, die in einem Gewand kühler Rationalität daherkommen, normativ aufbrechen und mit Gegenstories entzaubern? Wie macht man die laute und explizite Kapitalismuskritik softer und überzeugender, weil sie mehr aus der Sache selbst kommt und machbare Visionen bietet? Wie macht man die leise, implizite und von der Benennung harter Konflikte fernbleibende Kapitalismuskritik expliziter, deutlicher und vernehmbarer? Lässt sich die These stark machen, dass die Zahl der Sektoren größer wird, in denen die guten Alternativen auch die ökonomisch sinnvolleren sind?
Wirklich Neues entsteht nicht durch das mühsame Kratzen am Bestehenden, sondern durch das selbstbewusste Setzen neuer Maßstäbe und neuer Lebensnormen. Hegel, Keynes und selbst der Erzliberale Hayek haben das in ihrer Zeit sehr schön gesagt. Und auch in heutiger Zeit kommen die Grundfragen wieder auf die Tagesordnung, die Kant einst so formulierte: Was ist der Mensch? Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Auf die beiden letztgenannten Fragen kann es – und das ist ein großer Fortschritt – nach Jahrzehnten der puren Anklage, die keine ergreifbar erscheinenden Alternativen im Gepäck hatte, wieder echte, glaubwürdige, irgendwann auch mehrheitsfähige Antworten geben.
Wenn wir die gesellschaftlichen Konsequenzen der ökologischen Gefährdungen durchdenken, dann liegt relativ schnell auf der Hand, dass nur progressive, egalitäre und demokratische Lösungswege ein zivilisiertes Leben innerhalb der Öko-Grenzen erlauben. Es ist heute möglich, eine solche Gegenstory stark zu machen und sich anderen konservativen bis reaktionären Narrativen zu widersetzen (Zurück zum rechten Maß, Demokratie ist schuld, postdemokratischer Elitismus, Technofaschismus, Katastrophismus, Eco-Engineering). Beispielsweise kann als Quintessenz dessen, was heute schon in Ansätzen praktiziert wird, eine neue Art Kommune entstehen. Mit Bürgerentscheiden und Bürgerkontrollen demokratisiert. Mit dem Gebot vollständiger Transparenz jederzeit in ihrem Handeln durchschaubar und kontrollierbar. Weit mehr als heute wirtschaftlich handlungsbefugt und handlungsfähig. Möglich ist dann ein mehrdimensionaler „Return on Initiative“.
Organisationsfragen im engeren Sinne
Wie müssen Organisationen beschaffen sein, die für fähige Menschen attraktiv und für Nervensägen unattraktiv sind? Worin bestehen die typischen Fehler und Mängel herkömmlicher Organisationen, und wie sind sie zu überwinden? Sollten wir uns für die Schlagkraft von Organisationen Ziele setzen, wie beispielsweise die Fähigkeit, innerhalb von zwei Wochen eine Demo mit 100.000 Leuten zu organisieren?
Ist es sinnvoll über neue Organisationen nachzudenken, die einerseits (im Vergleich zu vielen NGOs) mehr Verbindlichkeit haben und die andererseits (im Vergleich zu Parteien und anderen hierarchischen Organisationen) mehr autonome Aktion erlauben? Sind Zellen oder Clubs sinnvoll, die ein ständig wachsendes Netzwerk bilden? Sollten solche Zellen die politische Aktion mit wechselseitiger Hilfe und praktischem Nutzen für das eigene „private“ Leben verbinden?
Wie lässt sich die Zufälligkeit der alternativen Szene aufheben? Wie gelingt die systematische Produktion organisatorischer, inhaltlicher und medialer Qualität? Gibt es Handlungsmaximen für diejenigen, die – oft frustriert – ihren Verschleiß in den wenig effektiven, nervigen und bürokratisierten Monstern (Parteien, Stiftungen, sonstige Großorganisationen) reduzieren und zu wirklicher Bewegung beitragen wollen? Durch welche Maßnahmen aktiver Kaderbildung wird der Kreis jener Aktivistinnen und Aktivisten größer, die das „magische Pentagon“ beherrschen: missionarischer Ehrgeiz, kommunikative Kraft, lokale Akzeptanz, organisatorisches Talent und technische Expertise.
Das sind – jedenfalls aus meiner Sicht – einige zentrale Fragen. Es kommt nun darauf an, Antworten zu wagen.