EINZIGER AUSWEG AUS DEM KLIMAWANDEL Erneuerbare Energien ohne Wenn und Aber
Selbst in London und wohl auch in Washington beginnt man zu erkennen, dass der Klimawandel kein mysteriöses Ereignis der Natur ist, sondern Konsequenz einer Wirtschaftsweise, die mit dem Feuer spielt. Der für die britische Regierung verfasste Bericht von Sir Nicholas Stern, der vor einer weltweiten Rezession warnt, lässt die Zweifler verstummen, die noch vor kurzem von unbewiesenen Hypothesen sprachen. Der globale, von Menschen gemachte Klimawandel ist eine Realität, die fast alles verändern wird – dieser ersten Lektion energetischer Alphabetisierung kann sich niemand mehr entziehen.
Völlig ungewiss ist dagegen, ob und wann die nun eigentlich fällige zweite folgen wird: Absoluter Vorrang für erneuerbare, emissionsfreie oder zumindest CO2 neutrale Energiequellen und Herabstufung des fossilen Systems zu einem Auslaufmodell. In allen energiepolitischen Entscheidungen Sonne, Wind, Erdwärme und Biomasse als anzustrebenden Normalfall zu setzen und jede neue Investition in Kohle, Öl und Erdgas unter strikten Rechtfertigungszwang zu stellen, wäre die Schlussfolgerung, die allerdings im Moment noch niemand regierungsamtlich auszusprechen wagt. Ermuntert vom Stern-Report spricht Umweltminister Gabriel von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der für eine Energiewende zu reservieren wäre, von einer Effizienzrevolution und von einem ökologischen New Deal, der allerdings bei ihm merkwürdig unbestimmt bleibt. Dem schwedischen Beispiel folgend ließe sich dieser Deal ohne weiteres präzisieren: Abschied von den Klimakillern als verbindliches nationales Ziel.
Allen Sonntagsreden zum Trotz hat sich bei uns bislang keine Partei dieser Leitidee verpflichtet. Das mag hier und da an den Zuwendungen liegen, mit denen E.ON und RWE die parlamentarische Landschaft pflegen. Viel wirksamer aber ist die mentale Barriere, die aus drei populären Argumenten gebaut worden ist: Die regenerativen Technologien sind noch nicht ausgereift, für nationale Alleingänge viel zu teuer, und selbst wenn sie massenhaft und billig zur Verfügung stehen, kann man sich auf die naturabhängige Wind- und Sonnenenergie nun einmal nicht verlassen. Folglich brauchen wir – so heißt es dann – die Atomkraft, zumindest „Clean Coal“, also die großtechnologische Abscheidung des aus Kohlekraftwerken stammenden CO2 in unterirdischen Kavernen. Kombiniert mit Emissionshandel und einem gewissen Anteil von Wind und Sonne werden wir´s schaffen, so lautet die Botschaft. Dieser scheinbar gut begründete, die ökologische Ethik aufnehmende Pragmatismus ist verführerisch. Um so schlüssiger ist der Beweis zu führen, dass es verhängnisvoll wäre, im Namen von fragwürdigen, risikoreichen Großprojekten nochmals Jahrzehnte zu vergeuden, um dann endlich die zweite Lektion der ökologischen Aufklärung ernst zu nehmen. Die wichtigsten Hinweise für die Machbarkeit einer vollständig regenerativen Option finden wir im eigenen Land. Seit Verabschiedung des EEG, des „Erneuerbare Energien Gesetzes“, wurden sämtliche Prognosen über die Einführungsgeschwindigkeit von Windturbinen, Solaranlagen und bei der Nutzung von Biomasse übertroffen. Mit politischem Rückenwind lässt sich der regenerative Trend der vergangenen fünf Jahre beschleunigen, und schon 2020 wäre eine überwiegend emissionsfreie Stromproduktion technisch möglich.
Zunehmend relativiert sich auch das Preisargument. Windenergie wirkt an der Leipziger Strombörse heute schon preisstabilisierend, weil in den Stunden der Spitzenlast die teuren, als Reserve vorgesehenen Gaskraftwerke nicht mehr oder weniger in Anspruch genommen werden. Bei anhaltender Kostensenkung der sauberen Energien und weiterer Verteuerung der Klimakiller werden sich in absehbarer Zeit die beiden Preiskurven schneiden, so dass dann selbst die betriebswirtschaftliche Kalkulation eine klare Sprache spricht. Volkswirtschaftlich – also bei voller Berücksichtigung der von Nicholas Stern genannten Folgekosten in Billionenhöhe – wäre die Präferenz schon heute eindeutig.
Die Erfahrungen des EEG zeigen, dass ein zentraler Industriesektor innerhalb einer historisch kurzen Frist umgestaltet werden kann, wenn Investitionssicherheit für neue Energieanbieter besteht und wenn der Marktzugang nicht von Konzernen blockiert werden kann. Sich von der Erfolgsstory regenerativen Stroms inspirieren zu lassen und mit ähnlichem Tempo die Wärmeerzeugung und die Produktion von Kraftstoffen zu revolutionieren, wäre die naheliegende Aufgabe. Mit gezielt wirkenden Anreizen würde der Verbrauch fossiler Heizenergie sehr schnell sinken, und beim Autoverkehr wären erhebliche Einsparungen und neue Antriebstechnologien möglich, wenn man die Hersteller in die Pflicht nimmt. Eine intelligente und gegenüber mächtigen Interessen respektlose Politik vorausgesetzt, gibt es keine technologischen Hürden, die nicht zu überwinden wären.
So bleibt als letztes Argument nur die Abhängigkeit von Sonne und Wind. Was wie eine unüberwindliche Schranke der Natur aussieht, ist aber nur eine Frage des Verhältnisses zwischen verschiedenen Energiequellen. Genau so wie heute muss auch für das regenerative Zeitalter ein sinnvoller Mix definiert werden, der die permanent verfügbaren Quellen mit den störungsanfälligen und den nicht exakt vorhersagbaren kombiniert. Statt Kohle- und Atomstrom als Reserve abzusichern, würden Wasser- und Pumpspeicherkraftwerke der Windenergie zur Seite stehen. Verlässliche Erdwärme wäre der Partner für die lichtabhängige Solarthermie. Warum also Umwege mit unsicherem Ausgang in Kauf nehmen, wenn die Alternativen in jeder Hinsicht besser sind?