Kommentar: Clement und die BDI-Agenda
Mit Geld kann er nicht umgehen, sagt seine Frau. Zu Hause führt sie allein die Geschäfte. Autofahren? Nein, auch das hat er nicht gelernt. Würde man ihn ob seiner beruflichen Eignung testen, wäre das Ergebnis mit einiger Gewissheit katastrophal. Betriebswirtschaftliche Bilanzen verstehen? Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen deuten? Steuerstatistiken interpretieren? Den Zusammenhang zwischen Zinsen, Investitionen und Beschäftigung begreifen? All das muss ein Wirtschaftsminister selbstverständlich nicht im Detail beherrschen, genau so wenig wie eine Sozialministerin unbedingt eine medizinische Ausbildung haben muss. Aber wenigstens die „Basics“ sollten er und sie schon kennen, wenn sie dem Gemeinwohl dienen wollen. Wollen sie überhaupt noch? Ulla Schmidt mag sich mühen, bei Wolfgang Clement erhärtet sich der Verdacht, dass dieser Mann – koste es, was es wolle – nur noch die Agenda der deutschen Industrie im Auge hat.
Dass er wenig kann und wenig weiß, wäre nicht so schlimm, wenn er zumindest die wichtigsten Daten berücksichtigen und daraus die naheliegenden Schlussfolgerungen ziehen würde. Seit Jahren zeigt jeder seriöse Vergleich, dass die von deutschen Konzernen tatsächlich gezahlten Steuern zu den niedrigsten in Europa gehören. Die Folgen verminderter Einnahmen sind in jeder Kommune zu besichtigen. Theaterschließung, Bildungsnotstand, löchrige Infrastruktur – den Lobbyisten im Ministergewand stört das nicht. Er bleibt auf Kurs und verlangt – allen bereits vollzogenen rot-grünen Steuersenkungsexzessen zum Trotz – eine erneute „Reform“. Sein scheinbar beiläufiger Vorstoß, vor zwei Wochen bei Christiansen verkündet, ist längst zur Kampagne geworden. Clement wusste, wem er das Stichwort liefert und wen er in Bedrängnis bringt. Der neue BDI-Chef Jürgen Thumann, zur Amtseinführung in einer grotesken Zeremonie mit einem Araberhengst beschenkt, kann nun Hans Eichel attackieren, der dem Steuerdumping Grenzen setzen will und damit einen letzten Rest volkswirtschaftlicher Vernunft bewahrt. Auf welche Seite sich der Kanzler schlagen wird, ist kein Geheimnis. Spätestens wenn große Verlagsgruppen das Volk mit bunten Grafiken bombardieren, die jene „unerträglich hohen Steuersätze in Deutschland“ zeigen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, ist Schröders Zustimmung sicher. Clement, von eben diesen Medien zum „Schwergewicht“ des Kabinetts geadelt, hätte wieder mal seine Funktion erfüllt. Wo bleibt, so möchte man aufrechte Sozialdemokraten fragen, der Aufstand gegen diesen dumm-dreisten Zerstörer des Gemeinwesens Bundesrepublik? Und weshalb treibt niemand den Zynismus auf die Spitze und verlangt die Abschaffung des ohnehin auf eine Bagatellgröße geschrumpften Unternehmensobolus, um anschließend hinzuzufügen, dass die
steuerlich unbelastete Privatwirtschaft dann für die Kosten der Arbeitslosigkeit allein aufkommen muss?