Kommentar: Deutscher Reichtum, deutsche Armut
„Leise schnieselt der Re-aktionär seinen Tee, sitzt bei der Lampe noch spät, blättert im Aktienpaket. Ordnend Scheinchen auf Schein, fällt Erinnerung ihm ein. Kriegsweihnacht vierzig war still, trotzdem sehr stark im Gefühl! Heut geht alles zu glatt; alle Welt frißt sich satt! Und zu der Innerlichkeit ist keine Sau mehr bereit!“
Als damals, vor über 30 Jahren, Dieter Süverkrüp sein Weihnachtslied sang, war manchem – so ließe sich weiter singen – ums Depot noch ganz bang. Überall saß ein Spion, und die Jugend probte Revolution. Nie waren die Zeiten öder – doch längst vergessen, jetzt haben sie Schröder.
Was für eine wunderbare Vorweihnachtszeit. Die DAX-Unternehmen verzeichnen zwei- und dreistellige Gewinnsprünge. Die Lohnquote sinkt auf den tiefsten Stand seit Jahrzehnten. Verantwortung lohnt sich wieder, und die endlosen Stunden mit Finanz- und Steuerberatern waren nicht umsonst. Den Irrweg – hier das Risiko der Freiheit, dort die staatliche Vollversorgung – haben wir verlassen. Überschuldete Haushalte, wachsende Armutsquote, immer mehr Kinder, die auf Sozialhilfe angewiesen sind – bedauerlich, aber auch unvermeidlich, wenn das Land wieder gesunden soll. Kein Zweifel: Der Trend stimmt, bei Einkommen und Vermögen.
„Hier haben Sie alle Zahlen. Ich bin stolz auf unsere Bilanz“ – freudestrahlend könnte nun die Sozialministerin ihren (bereits angekündigten, aber unter Verschluss gehaltenen) Bericht über Reichtum und Armut präsentieren. Doch sie tut es nicht, reagiert verschämt auf das Leck in ihrem Hause. Warum immer noch diese alte Moral? Wo bleibt bei Schmidt und Schröder das selbstbewusste Bekenntnis zum eigenen Tun? Alles haben sie doch richtig gemacht: die Unternehmensteuern halbiert, die Eliten entlastet, Dienstboten und Blaumännern die Leviten gelesen, Verweigerer zur Raison gebracht. Nur das Marketing ist schlecht. Sachzwänge, Finanzierungslücken, Steuerschätzung, Mindestlohn – zum Teufel mit diesem Geschwätz. Wir wollen es endlich hören, laut und den Gewerkschaften ins Gesicht: Sozial ist, wer Reichtum und Rendite pflegt.
Dieser einfache Satz würde Euer grandioses Werk vollenden, die Programmpartei SPD hätte wieder ein Leitmotiv. Hört auf, Euch zu drehen und zu winden, sprecht offen aus, was ihr täglich macht. Ganz nah wären wir Aktionäre dann bei Euch im übernächsten Jahr. Überlegt´s Euch gut, die anderen sind schon beim nationalen Gesang. Angst und Pathos – wir wollen das nicht unbedingt. Rot-grüne Vernunft, die ihren Patron zu ehren weiß, wäre uns lieber. Aber man kann das Lied auch ausklingen lassen wie es früher üblich war: Leise schnieselt der Re-aktionär seinen Tee. Horcht nur, wie lieblich es knallt! Fürchtet Euch, Kriegskind kommt bald!